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Architekt des Ökumenischen Zentrums ausgezeichnet

OB Dr. Thomas Spies ehrt Architekt Georg Solms mit dem historischen Siegel der Stadt Marburg

"Es wird bereits 'Schuppen' und 'Werkstatthalle' geschimpft …"

So beschreibt Georg Solms die Reaktionen der Bewohnerschaft auf das 1973 eingeweihte Ökumenische Zentrum-Thomaskirche. Damit hatten die Kritiker die eigentliche Aufgabe der neuen Kirche auf dem Oberen Richtsberg treffend beschrieben. Das Ökumenische Zentrum sollte sowohl Kirche als auch Werkstatt, mithin ein Ort des Alltags und der Feier sein. Und vor allen Dingen sollte es sich zur Begegnungsstätte der katholischen und evangelischen Christinnen und Christen im Stadtteil entwickeln. Anfang der 70er Jahre war das eine absolute Neuheit, die Thomaskirche das erste ökumenische Zentrum Deutschlands.

Am Tag des offenen Denkmals (8. September 2019) wurde Georg Solms als einer von drei Architekten des "Theodor London-Collective" für seine Leistungen auf dem Richtsberg geehrt (er plante auch den Neubau des Vereinsgebäudes des Bewohnernetzwerks für soziale Fragen/BSF). Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies war gekommen, um die Ehrung mit dem historischen Stadtsiegel persönlich vorzunehmen, und ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit dem Geehrten das Schild "Kulturdenkmal" an den Eingang der Thomaskirche anzubringen.

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Die Thomaskirche

Gebäude

Das sich seit 1964 rasch entwickelnde Neubaugebiet Richtsberg stellte für die kirchliche Arbeit von Anfang an eine große Herausforderung dar. Die katholische Liebfrauengemeinde begann 1961 mit ihrem ersten Gottesdienst im Hansenhaus rechts. 1964 wurde das Pfarrhaus in der Großseelheimer Straße fertiggestellt; die Gottesdienste fanden von da an im Pfarrsaal statt. Ein Jahr später, 1965, wurde die Liebfrauenkirche eingeweiht. 1966 wurde eine erste evangelische Pfarrstelle, die zunächst noch zur Lukaskirchengemeinde gehörte, am Unteren Richtsberg errichtet und 1967 mit Pfarrer Heinz Gerlach besetzt. 1970 wurde eine zweite Pfarrstelle für den Oberen Richtsberg einschließlich des Bereichs »In der Badestube« mit Pfarrer Ernst Schmidt besetzt. Ein großer Teil der Gemeindeveranstaltungen fand zu diesem Zeitpunkt in der am 6. Oktober 1968 eingeweihten Richtsbergkapelle in der Leipziger Straße, der späteren Emmauskirche, statt. Außerdem konnten weitere Veranstaltungen in den Räumen der gerade erst bezugsfertig gewordenen Grundschule stattfinden. An diesem Ort kam es zu einem ersten ökumenischen Miteinander zwischen evangelischer Richtsberggemeinde und katholischer Liebfrauengemeinde. Diese Erfahrungen trugen mit zu dem Entschluss beider Gemeinden bei, auf den Bau einer je eigenen Kirche zu verzichten und statt dessen ein ökumenisches Gemeindezentrum zu errichten. In der Urkunde anlässlich der Grundsteinlegung heißt es unter Berufung auf Johannes 17,21: »Weil theologische Differenzen und Unterschiede der Frömmigkeits-Formen kein Anlaß sein sollten, auch heute noch nebeneinander statt miteinander zu bauen, gaben die Kirchenleitungen in Kassel und Fulda ihre Zustimmung für ein ökumenisches Gemeindezentrum. Die Gemeinden und ihre Pfarrer verstehen darunter: Unterschiede sollen geachtet und nicht vertuscht, Gemeinsames jedoch mit Mut und Phantasie gesucht werden. Jeder Raum außer den Sakristeien und der Pfarrwohnung kann nach Vereinbarung von jeder Konfession oder gemeinsam genutzt werden.«

„Von Werkstatt bis Kirche“

Die ursprüngliche Konzeption von einem gemeinsamen Zentrum mit gemeinsamem Gottesdienstraum ließ sich jedoch nicht verwirklichen. Statt dessen kam es zu einer Art evangelisch-katholischem Doppelzentrum, unter dessen Dach es sowohl überwiegend einzeln genutzte Räume (vor allem die Gottesdiensträume) als auch gemeinsam genutzte Räume (beispielsweise die Gruppenräume) gibt. Der Architekt Johann Georg Solms hat dieser veränderten Konzeption Rechnung getragen, indem er jeder Konfession über ihrem Altar einen gleich großen Kubus zugedacht hat. Darüber hinaus fällt besonders auf, dass er auf äußere Merkmale einer Kirche, wie zum Beispiel Glocken, Turm oder Buntglasfenster bewusst völlig verzichtet hat. In der Festschrift zur Einweihung schrieb Solms: »Es wird bereits "Schuppen" und "Werkstatthalle" geschimpft. Ich hörte aber auch den Vorwurf, die hohen Räume seien "Sakralarchitektur". Beides trifft zu. Die Spanne der Möglichkeiten des Hauses reicht tatsächlich von Werkstatt bis Kirche.« Solms knüpft damit an eine neues Nachdenken über Gottesdienst seit den 70-er Jahren an. So weist beispielsweise der Zrcher Neutestamentler Eduard Schweizer darauf hin, dass ausgehend von Römer 12,1-2(ff.) der Begriff Gottesdienst mit dem Begriff Alltag eng verbunden sei. Bezogen auf die Raumfrage bedeutet das: »Nichts ist im Neuen Testament heilig im Gegensatz zu einem profanen Bezirk bzw. besser gesagt, alles ist heilig, nichts ist mehr profan, weil Gott die Welt gehört, und weil die Welt der Ort ist, an dem man Gott preisen und ihm Dank erweisen soll. D. h. wir sind von vornherein aufgerufen, alles zu tun, um dieses Mißverständnis auszuschalten, als ob es so etwas wie einen heiligen, aus der Welt abgegrenzten temenos, Tempelbezirk, gäbe und als ob dann gar noch einer oder einige in der Gemeinde in irgend einer Weise heiliger oder profaner wären als andere.«

„Dieses Haus gehört allen“

Anlässlich der Einweihung am 14. Oktober 1973 äußerte sich Architekt Solms zu der Frage, wer die Gemeinde des neuen Hauses sei: »Sind das die, die immer kommen? Die auch schon immer kamen? Die die Gemeindearbeit machen? Die genau wissen, ihr Haus wird gebaut. Ihr Haus? Nur ihr Haus? Das Haus kostete mehr als 1,6 Millionen Mark. Das Geld haben alle Kirchensteuer-Zahler bezahlt, alle evangelischen und katholischen Kirchen-Mitglieder. Ich meine: Die Bewohner des Richtsberges sind die Gemeinde. Auf das ökumenische Gemeindezentrum haben alle Anspruch. Es gehört allen.«

Ökumene im gemeinsamen Zentrum

Der damalige katholische Pfarrer, Pater Rudolf Pischel, zog 1988 folgendes Resmee: »Ohne das gemeinsame Zentrum wären wir ärmer und uns wesentlich fremder geblieben. Der erste Schwung mag verebbt sein, aber es gibt noch genug Gemeinsames. Vielleicht kann diese Rückbesinnung Anlaß sein, das gemeinsame Haus noch mehr zu nutzen.« Zwischen beiden Gottesdiensträumen befindet sich eine Wand. Diese Wand ist keine tragende Wand und sie hat bereits einen Riss, im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Für die Zukunft bleibt uns die Hoffnung, dass diese Wand vielleicht eines Tages nicht mehr nötig sein wird.

Architekt: Johann Georg Solms, Einweihung: 14. Oktober 1973

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