Die seltsame Geschichte vom alten roten Ford meines Bruders

Bild: O. Henke

In einem kleinen Zimmer bei mir zu Hause habe ich ... (von Herma Völker-Linshöft)

... zwei besondere Andenken stehen. Sie erinnern mich an das Jahr 2009. Mein Bruder wollte wie jedes Jahr an meinen Geburtstag nach Marburg kommen. Er war alleinstehend und lebte in Kassel, ich war vor langer Zeit mit meiner Familie nach Marburg gezogen. Wir besuchten uns mehrmals im Jahr gegenseitig. Alfred hatte sich nach der Wende einen neuen roten Ford Escort Diesel gekauft. Das Auto war im Jahr 2009 also schon etwa 18 Jahre alt und hatte so viele Kilometer auf dem Tacho stehen, dass mein Bruder damit gut und gerne ein halbes Mal rund um die Erde hätte fahren können. Mitte August 2009 wollte er wieder nach Marburg kommen. Vorher sollte sein Ford noch einmal in die Autowerkstatt zum Durchchecken und zur Reparatur eines Defekts an der Hupe. Aus der Werkstatt rief man am 12. August meinen Bruder an: „Ihr Auto ist fertig. Sie müssen es heute noch abholen. Wir haben keinen Abstellplatz mehr frei!“ Alfred einigte sich mit der Werkstatt, dass sein Ford auf dem Parkplatz eines gegenüber liegenden Supermarktes über Nacht abgestellt werden sollte. Am 13. August 2009 wollte mein Bruder sein gutes Stück abholen, aber auf dem genannten Parkplatz stand kein einziges Auto. Er fragte in der Werkstatt nach. Ein Mitarbeiter hatte den Wagen aber wie versprochen am Tag davor auf dem Supermarkt-Parkplatz abgestellt. Im Markt wurde der Geschäftsleiter befragt, ob er das Auto abschleppen lassen hätte, aber der verneinte dies. Mein Bruder wendete sich an die Polizei und meldete den Diebstahl. Der Ford war vier Wochen spurlos verschwunden. Einige Nachbarn waren der Meinung, der Wagen sei bestimmt in den Osten verschoben worden. Andere waren der Ansicht, er sei ausgeschlachtet oder verschrottet worden. Und meinem Bruder wurde das Herz immer schwerer.

Am 15. September 2009 hörte ich zufällig die Nachrichten im Radio. Es wurde von einem bewaffneten Banküberfall berichtet, der von drei Tätern ausgeführt worden sei, die nun mit einem roten Ford mit dem Kennzeichen XXX flüchtig wären. Da ich seine Autonummer kannte, rief ich ihn schnellstens an. Alfred dachte natürlich, ich wolle ihn verkohlen, und es dauerte lange, bis er mir glaubte. Mein Bruder musste dann mehrmals zur Kripo, seine Fingerabdrücke wurden zum Vergleich abgenommen, und ich glaube, er musste auch zu einer Gegenüberstellung mit den Bankmitarbeitern gehen. Mein Bruder kam sich schon wie ein gesuchter Verbrecher vor. Der Ford war von den Bankräubern nach dem Überfall am Ortsrand von Westheim zwischen einer Kläranlage und der Diemel abgestellt worden. Die Täter waren dort in einen grünen Ford Sierra umgestiegen und weiter geflüchtet. Nach Wochen wurde der Ford von der Polizei freigegeben. Mein Bruder hat den Wagen von dem Abstellplatz am Ortsrand von der Werkstatt abholen lassen. Dem guten Stück war nichts passiert, das Auto wurde noch einmal durchgecheckt, ihm fehlte nichts. Im Gegenteil, das Auto fuhr nach dem Überfall schneller als jemals zuvor. Mein Bruder hat den Ford dann noch vier Jahre gefahren und den Wagen schließlich schweren Herzens zum Verschrotten gegeben. Auf meine Bitte hin brachte er mir später das Nummernschild als Andenken nach Marburg mit. Die Bankräuber wurden nach weiteren Einbrüchen gefasst. Als mein Bruder krankheitsbedingt nicht mehr allein leben konnte, haben wir ihn nach Marburg geholt. Beim Auflösen seiner Wohnung ist mir das kleine Ford-Modellauto, das wir Alfred später einmal zu einem Geburtstag geschenkt hatten, in die Hände gefallen. Diese beiden Teile haben natürlich einen Ehrenplatz bei mir.

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